10.07.21 Oslo
Ich schlendere durch die Altstadt. Mein erster und bleibender Eindruck: Tolle, alte Gebäude, alles gepflegt und schön restauriert. Große, breite Straßen, hell, freundlich, ganz viele Brunnen, Skulpturen, Grünflächen, Parks, Blumen, sehr, sehr schön. Die Hochhäuser sind chic, außergewöhnliches Design und der Blick in den Oslo Fjord ist toll. Leicht hügelig die Stadt, viel Wald dazwischen und unglaublich viele Museen.
Ich schlendere eine andere Straße in der Altstadt zurück.
Für den Weg brauche ich Bargeld, sagt mein Reiseführer, doch Geldautomaten sind selten, hier werden auch Kleinstbeträge mit Kreditkarte bezahlt.
Ich wundere mich warum ich kaum Autos in der Innenstadt erlebe. Auf Nachfrage erklärt man mir, dass die Maut vom Innenstadtring so unverschämt teuer ist, dass viele die Stadt meiden und öffentlich fahren.
In Oslo fahren fast nur elektronische Autos. Unglaublich wie viele Teslas dort unterwegs sind. Alle anderen fahren elektronische Roller. Immer schön aufpassen, sonst kommt man hier unter die Räder.
Oslo sind die Straßen breit und gepflegt. Die Parks sind fantastisch.
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11.07.2021 Oslo
Mein erster Weg ist das Pilgerzentrum (Pilgrimsleden). Der junge Mann im Office ist nett. Er fragt nach meinem Rucksackgewicht. Ist mit 9 kg inkl. Essen zufrieden. Erklärt, dass ich aus allen Bächen und Flüssen Trinkwasser bekomme, ebenso auf den Friedhöfen. Ich soll bei jeder Gelegenheit meine Wasserflasche auffüllen.
Er will meine Winterausrüstung für den Gletscher wissen und erklärt, dass ich mir davor für 10 Tage Essen kaufen soll.
Alle Norweger wären hilfsbereit und ich kann an den Häusern um alles bitten.
Die meisten Unterkünfte haben wegen Corona zu, nur ca. die Hälfte hat dieses Jahr geöffnet. Ich sollte vorher anrufen und buchen.
Ich entscheide mich dagegen. Ich will meine Freiheit und spontan entscheiden wie weit ich pro Tag gehen werde. Je nach meiner körperlichen Verfassung.
Ich erhalte den Pilgerpass und den Pilgersegen in Deutsch, mein Pilgerarmband, und ein Foto mit dem Pilgerzeichen. Morgen gehe ich los.
Ich will ins Edvard-Munch-Museum, bekomme für heute jedoch kein Ticket mehr.
Ich besichtige die Akershus Festung mit herrlichem Ausblick auf den Hafen und Fjord. So eine grüne, schöne Stadt.
Am Hafen sehe ich das wunderschöne Rathaus und daneben den Nobel-Peace-Center. Ich gehe aufs Boot und fahre zur Museums-Halbinsel.
Das Polar Ship FRAM Museum ist wirklich hervorragend gestaltet und macht Spaß.
Danach gehe ich ins übersichtliche Kon-Tiki Museum, denn dazu habe ich vor Jahren den Film gesehen. Das Norwegian Maritime Museum durchlaufe ich nur oberflächlich, denn alte Schiffsglocken, Rumpfstaturen usw. die fesseln mich nicht.
Im Vikinger Ship Museum sind 3 alte Schiffe ausgestellt. Alle zwischen 800-900 n.C. erbaut. Nur drum rum laufen, mehr darf man nicht.
Abschließend geht’s ins Norsk Folke Museum. Hier sind die Originalhäuser der unterschiedlichen norwegischen Epochen in einem großen Freilicht-Park aufgebaut. Viele kann man besichtigen, darin etwas kaufen oder essen, nach damaliger Tradition. Absolut sehenswert ist darin die wunderschöne Stabkirche aus Holz.
Mit dem Boot fahre ich zur legendären Oper. Sie ist wirklich ein architektonischer Hingucker. In der Altstadt hat der Dom auch heute wieder geschlossen.
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Ich genieße den heutigen Luxus im Hotel, denn ich weiß, ab morgen wird es einfacher. Ich schaue das EM Endspiel mit norwegischem Kommentartor. Lesen kann ich vieles in der Sprache, jedoch verstehen geht gar nicht.
11.07.21 1. Etappe: Von Oslo nach Saeteren Gard (Hütte ohne Wasser, Strom)
Wetter: Sonnenschein 28 Grad.
Tageskilometer: 30 km
Um 8.45 Uhr bin ich am Startpunkt des Olavswegs. Die Kirche hat noch geschlossen. Ich folge 4 km der sehr dürftigen Beschilderung und stehe im Nirgendwo. Ich versuche Orientierung zu finden und erkenne, dass ich auf dem Ostweg gelandet bin anstatt auf dem geplanten Westweg. Alles zurück. Bin schon müde und das am Pilgerzentrum in dem ich am Tag zuvor meinen Pilgerpass gekauft hatte.
Durch die Stadt geht der Weg nun im Zick Zack. Es ist ganz schwer der Beschilderung zu folgen. Ich benötige den Reisführer und das Navi dazu.
Ständig muss ich wieder kleinere Strecken zurückgehen und schauen, wo es lang geht. Bin genervt, …
…dass ich nicht einfach vor mich hin laufen kann
…dass ich eine so schlechte Orientierung habe
…dass ich immer wieder vom Weg abkomme
…dass ich Umwege gehe
…dass es so viel Zeit und Kraft kostet
…dass ich schnell in die Natur will und raus aus der Stadt
Endlich bin ich aus der Stadt draußen. Nun wünsche ich mir ein nettes Café für eine Pause, aber keines zu finden.
1. Lektion: Ambivalent sein
Ich bin ambivalent, erst will ich unbedingt schnell die Stadt hinter mir lassen, dann wünsche ich mir die Infrastruktur zurück, um mich gemütlich ins Café zu setzen.
Gegen 14 komme ich im Gewerbegebiet an einen Supermarkt. Ich gehe auf Toilette und kaufe Wasser und glutenfreie Schneckennudeln bei Bäcker. Die sind lecker.
Daheim gehe ich 2-3 Stunden joggen am Wochenende und hier bin ich nach wenigen Stunden Laufen total erschöpft. Egal weiter geht es. Am Stadtrand von Oslo sind die Holzhäuser bunt und wunderschön. Die Gärten entzückend angelegt. Ich bin positiv beeindruckt.
Ich rief einige Unterkünfte an. Nur bei einer konnte ich unterkommen. Alle anderen hatten geschlossen. Diese lag 1,7 km vom Weg entfernt auch das noch. Ich wollte bereits nach 20 km keinen Schritt mehr gehen. Jetzt musste ich bis ans Ziel der Etappe laufen. Jeder Schritt war Überwindung.
Endlich angekommen erhalte ich die Hütte 300 m entfernt im Wald. Oh, nein, nach dieser Pilgeretappe sind 300 m zur Schlafhütte unendlich weit. Kein Wasser, kein Strom. Ich komme mir vor wie bei Schneewittchen und den 7 Zwergen, jedoch hinter den gefühlten 77 Bergen. Ab jetzt: Nicht mehr bewegen. Jeder Knochen tut weh. 9 kg Gepäck fühlt sich an als wären es 19 kg.
Ich drehe eine Gasflasche auf und entzünde einen Gaskocher mit einem uralten Wasserkessel und mache mir mein mitgebrachtes Wasser für meine Couscous- Fertigmahlzeit und esse bei Kerzenschein noch meine letzten 4 Dinkelkekse.
Ich breite meinen Schlafsack aus, entferne viele Tiere von der Matratze, die nur 1,60 cm lang ist. Ich lege meine Beine über das Holzgeländer. Füße hochlegen ist ja gesund. Es ist 21 Uhr und ich schlafe ein.
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13.07.21 2. Etappe: Von Saeteren Gard bis Sundvollen Hotel (superschönes Hotel, das älteste von Norwegen, veganes Abendessen unglaublich lecker sowie Wasser und Strom)
Wetter: Sonnenschein 30 Grad
Tageskilometer: 28 km
Ich werde um 4 Uhr wach. Es ist hell. Ich schaue aus dem Fenster in die Natur. Sieht alles so friedlich aus. Mitten im Wald, jedoch keine Waldtiere zu sehen. Meine Beine schmerzen noch sehr, trotz oder weil ich die Füße über dem Holzgeländer liegen hatte? Ich musste auf Toilette – also vor die Hütte in die Natur. Wieder in den Schlafsack. Damit ich einschlafen kann höre ich ein Hörbuch und schlafe ich noch einmal ein.
Als ich wach werde, trinke ich meine Wasserflasche leer. Ich packe zusammen, trage Sonnencreme auf und laufe um 8.45 Uhr los.
Zuerst laufe ich 1,7 km zurück auf den Pilgerweg. Es hätte eine Abkürzung gegeben, aber ich habe die Schilder nicht lesen können. Ab jetzt lasse ich wieder die App mitlaufen, um zu sehen wie viel km ich heute gehe.
Zuerst geht es durch ein grünes Waldstück, sehr steil, steinig und tiefes Moor. Ich suche Steine auf die ich treten kann, um nicht noch tiefer im Dreck zu versinken. Jeder Schritt muss gut gewählt werden, sonst kann ich abrutschen…
Erinnert mich etwas an Sumatra und den Regenwald, natürlich nicht ganz so gefährlich.
Um 10.45 Uhr komme ich auf eine Lichtung: Skriverberget, d.h. Schreibberg. Ein großer Stein, der seit 1786 mit Inschriften übersät ist. Ich setze mich auf diesen Zeitzeugen für meine 1. Rast und frühstücke einen Energieriegel.
Weiter geht es durch einen Waldweg zum Golfplatz Lommedalen. Leider fehlt auch hier die Beschilderung und ich laufe einen Umweg. Dort mache ich Mittagspause und esse eine Pizza und Wassermelone. Gestärkt gehe ich weiter, wobei mein Körper bereits signalisiert, dass es für heute ausreichen würde.
In der folgenden Wohnsiedlung stehen traumhaft schöne Villen. Total gepflegt, romantisch im Grünen und die meisten haben einen Blick aufs Wasser. Es soll die reichste Gegend von ganz Norwegen sein, lese ich in meinem Reiseführer. Infotafeln erklären Felsformationen, Bäche usw. Amtsbrua, Hole Kommune, Benteplassen heißen die steilen Wegabschnitte.
Jetzt gehe ich den historischen Königsweg (Krokkleiva).
Der Blick ist traumhaft auf das Steinsfjorden gerichtet. Allerdings ist der Weg abwärts so steil – auf losem großen Schottersteinen, dass meine müden Beine vor Anstrengung zittern. Ich weiß, dass es gefährlich ist und ich jeden Schritt sehr achtsam und konzentriert gehen muss, wenn ich den Halt verliere, dann purzel ich den Abhang mit meinem Rucksack herunter…
Unten angekommen ist das Steinsfjord eine Traumkulisse. Wirklich Natur pur. Zum Glück liegt da auch gleich das Sundvollen Hotel, direkt am Pilgerweg. Es ist das älteste Hotel Norwegens. Wirklich sehr schön gemachte Zimmer. Allerdings muss ich weit laufen zu meinem Zimmer und mein Körper will genau keinen Schritt mehr gehen.
Ich gehe direkt unter die Dusche. Danach wasche ich meine Kleidung gründlich aus. Als Abendessen genieße ich ein vegetarisches 3 Gang Menü. Sehr guter Tagesausklang. Im Zimmer lege ich die Beine hoch an die Wand. Ich bin zu müde zum Tagebucheintrag.
2. Lektion: Zulange Etappen – meinen Körper nicht weiter komplett auslaugen
Ich habe mich gestern und heute völlig verausgabt. Hätte nie gedacht, dass mich das so schlaucht. Ich dachte ich könnte mehr Pausen machen und wäre schneller.
So am Limit möchte ich nicht weiter machen. Dass es so wenige Unterkünfte gibt ist wirklich doof. Dadurch sind die Etappen für mich im Moment zu lange. Ich grüble wie ich es morgen machen könnte.
3. Lektion: Strom sparen
Wenn ich keinen Strom zum Handy aufladen habe, sollte ich kein Hörbuch in der Nacht hören sowie das Handy nur zur Navigation verwenden, weil das ist hier das einzig Wichtige. Im Hotel konnte ich das Handy laden, doch tagsüber musste ich ohne auskommen.
14.07.21 3. Etappe: Von Sundvollen Hotel nach Klaekken Hotel (nicht zu empfehlen)
Wetter: Sonnenschein 28 Grad.
Tageskilometer: 16 km
Ich bin erschöpft und konnte doch nicht einschlafen. Ich hörte ein Hörbuch. Um 3.30 Uhr wurde ich wach. Es war hell draußen. Etwas Nebel über dem Fjord. Sah toll aus.
Ich kann nicht einschlafen, wegen der Erschöpfung? Von 6.30 bis 8.00 Uhr schlafe ich noch einmal ein. Was ist das für ein Rhythmus? Normalerweise schlafe ich prima durch. Bisher hielt mich nichts vom Schlafen ab. Alles anders hier beim Pilgern.
Ich packe zusammen und gehe zum Frühstück. Es nieselt. Ich entscheide mich die ersten 8 km (zu den beiden Kirchen) ein Taxi zu nehmen, da der Pilgerweg an der Straße entlang führt.
Meine Beine und Füße schmerzen nach wie vor bei jedem Schritt, sogar meine Fußknöchel tun weh. Ein entspannter Tag wird mir gut tun.
Ich buche das Klaekken Hotel für heute Nacht, alternativ gibt es nur Camping, dafür benötige ich jedoch ein Zelt (ohne Strom, nee, lieber nicht). So freue ich mich, dass ich heute nur eine kurze Strecke gehe und dann ausruhen kann.
Der Weg vom Steinsfjord nach Vik ist landschaftlich wunderschön. Er geht in den Tyrifjord über, das Wasser, das Grün, die Landschaft, die Weite. Mir geht das Herz auf…
Hier liegt auch die Bonsnes Kirke. Hier wäre Olav aufgewachsen und er hätte die romanische Kirche erbaut. Sie soll eine der ältesten Kirchen Norwegens sein. Wie alle anderen Kirchen ist sie geschlossen. Ich mache Fotos und zum ersten Mal befindet sich an einer Kirche ein Pilgerstempel, den ich in meinen Pilgerpassstempel.
Weiter geht es zur Hole Kirke (seit 1200 n.Chr.). Auch schön, auch geschlossen. Nur einen Stempel für den Pass.
Die mittelalterliche Norderhov Kirke (1170 erbaut) wird gerade renoviert. Ein Gerüst und blau verhüllt kann ich zwar drum herum gehen, doch nichts sehen.
Gegenüber ist das Ringerike-Museum. Da ich noch ausgeruht bin, gehe ich hinein. Hier wird die frühere Lebensweise dargestellt mit typischen Räumen, Kleidung, Uniformen usw. Es gibt auch einen kleinen Kiosk und hier treffe ich das norwegische Ehepaar, welches in der ersten Nacht gezeltet hat. Wir unterhalten uns kurz. Er trägt das meiste Gepäck inkl. Zelt. Sie sind dadurch unabhängig von den langen Strecken zwischen den Übernachtungsmöglichkeiten. Wobei sie gestern im gleichen Hotel wie ich übernachtet haben und das Abendessen auch sehr gut fanden.
In Norwegen gilt das Jedermannsrecht. D.h. jeder darf mit seinem Zelt überall übernachten.
Ich dagegen finde Wasser zum Waschen oder Duschen am Abend total genial, da ich so verschwitzt bin. Kurz stelle ich mir vor: So verdreckt und verschwitzt mit meinem Mann das kleine Zelt zu teilen und verwerfe den Gedanken sofort wieder.
4. Lektion: Essen wann es welches gibt
Das Hotel-Frühstück, obwohl ich nicht viel gegessen habe, liegt mir schwer im Magen. Normalerweise gehe ich daheim ohne Frühstück am Morgen joggen. Das wäre mir lieber, doch Essen ist selten auf dem Weg, das ist mir klar, also nehme ich dankbar jede Gelegenheit wahr.
Ich komme an den Stavhella Kulturminne vorbei. Ein eisenzeitliches Gräberfeld, das zehntausende Grabhügel und Flachgräber enthält und somit bezeugt, dass das Gebiet schon seit jeher kultisch bedeutend war. Außer Wiese mit Hügel ist für mich nichts zu erkennen.
Es geht weiter durch Trampelpfade mit hüfthohem Gras und unzähligen Stechmücken und Bremsen. Ich bin sehr froh heute die lange Hose anzuhaben.
1,3 km vom Weg entfernt liegt mein gebuchtes Hotel Klaekken. Es ist riesig, jedoch schäbig. Ich warte lange bis jemand kommt und mir missmutig einen Zimmerschlüssel gibt. Ich musste dafür ans andere Hotelende laufen und bin froh, dass ich heute noch fit bin und einen freien Tag habe. Es regnet nicht wie angekündigt, sondern ist bewölkt um 20 Grad warm.
5. Lektion: Was ich will und was ich bekomme
Ich will in die Sauna. Die ist geschlossen.
Ich will in den Pool. Der ist geschlossen. Es wird mir ein Mini-Kinder-Außenpool angeboten, der nicht einladend aussieht.
Ich wollte mich rauslegen, es gibt jedoch keine Handtücher.
Ich will duschen. Das Wasser kommt nur kochend aus der Leitung. Der Temperaturregler lässt sich nicht bedienen. Das Bad ist verschimmelt. Mein teuerstes und dafür heruntergekommenes Zimmer, was ich bisher hatte…
Ich bekomme ein neues Zimmer. Auch nicht schöner. Dusche geht schwer einzustellen, aber geht.
Ich mache den Föhn an, er geht nicht. Ich gehe zum x. Mal zur Rezeption und beschwere mich. Sie ist völlig irritiert und bringt mir einen Mini-Mini Föhn. Der geht natürlich nach 30 Sekunden wegen Überhitzung aus. Ich bin genervt.
Ich setze mich mit nassen Haaren auf das Bett und schreibe meinen Tagebucheintrag von gestern und heute.
Jetzt hatte ich mich auf ein schönes Hotel und Erholung gefreut und es ist schmuddelig, schäbig und extrem laut an der befahrenen Hauptstraße.
6. Lektion: Ich bin unzufrieden und genervt
Ich frage mich, ob es sinnvoll ist auf dem Pilgerweg genervt zu sein? Finde keine Antwort. Schließlich hatte ich bisher Glück mit den Unterkünften und konnte mich arrangieren – auch mit der 7-Zwergen-Hütte. Ich entscheide: Ich nehme es wie es kommt. Alles ist gut wie es ist. Es ist alles für irgendetwas gut. Innere Ruhe und Gelassenheit kann ich selbst erzeugen.
Gedanken:
Heute, am 14.7.1914, ist meine 2017 verstorbene Oma geboren. Das Datum 14.7.14 ist fest in mir verankert. Ich trage ihren kleinen, unscheinbaren Ehering. Er passt mir nur am linken, kleinen Finger. Der Ring und meine Oma stehen stellvertretend für alle Ahnen die mir Kraft geben, mich beschützen und Gutes wollen. Dieses Symbol, verknüpft mit diesem Gedanken tut mir gut.Ich habe Strom und erlaube mir Hörbuch zu hören. Es hat ein happy end. Unglaublich viele interessante Wendungen. Wie schade, dass die Autorin, Lucinda Railey so früh an Krebs verstarb. Sie war eine besondere Geschichtenerzähler
in. Das vegetarische Abendessen war okay. Ich bin gestärkt für morgen. Ich werde kein Taxi mehr fahren, wenn ich den Weg
nicht schaffe, dann höre ich mit dem morgigen Tag auf zu laufen. Ich werde morgen diesen Weg in meinem Tempo und in meiner Kraft gehen und eine Entscheidung treffen.
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15.07.2021 4. Etappe: Vom Klaekken Hotel bis nach Granavollen Gjaestgiveri (total schön, Etagenbad ist prima, leckeres veganes Abendessen)
Wetter: Sonnenschein 28 Grad.
Tageskilometer: 36 km
Es gab kein Frühstück ich gehe auf meinen Weg.
Es war neblig, angenehme Temperatur T-Shirt und lange Hose waren gut gewählt.
Vom Hotel lief ich zur Kirche Haugsbygd. Ich hatte mal wieder vergessen bis dahin die km zu zählen, es waren 1,3 km.
Es ging durch einen extrem sumpfigen Wald. Wie es hier ist, wenn es geregnet hat, wie dies normalerweise in Norwegen der Fall ist? Aktuell hat Norwegen einen Jahrhundertsommer.
Die Beschilderung ist schlecht. Ich nehme auch heute zusätzlich das Navi zur Hilfe. Ich laufe durch hüfthohes Gras, Gestrüpp usw. und bin anschließend komplett zerstochen.
Es geht durch eine riesige Weide. Die Tiere haben es wirklich gut hier.
Ich komme an der wunderschönen Unterkunft Almstua vorbei. Schade, dass ich erst meinen Tag begonnen habe, sonst würde ich hier übernachten.
Laut Beschreibung kam ich am Steinringer i Mosmoen vorbei. Die beiden Ringe mit 11 und 9 Steinen stammen aus der Eisen- oder gar Bronzezeit. Ich habe sie nicht wahrgenommen.
Ebenso wenig die Toteislöcher Dodisgropene i Jordbrudalen.
Es ging viel an der Straße 241 entlang bis zur Jevnaker Kirke. Dort machte ich eine Pause und aß einen Energieriegel und 100g Nüsse. Da die Pizzeria noch geschlossen hatte und an der Tankstelle wollte ich mir nichts holen.
Ich lief an der Straße weiter zu Slovika Camping, welches direkt am Randsfjorden lag. Total idyllisch. Eigentlich wäre dies meine Übernachtungs-Station, laut Guide. Es ist jedoch erst Mittag. Es gäbe eine Kabine, doch es ist extrem viel los und das Kindergeschrei ziemlich laut.
Ich gehe am Ende des Platzes auf den Bootsanleger und springe kopfüber ins Wasser. Es ist herrlich. Ich schwimme etwas im Fjord und trockne mich auf dem Steg. So lässt es sich leben. Das fühlt sich schon mehr nach Urlaub an.
Nach einer guten Stunde ist auch auf dem Steg viel los und ich entscheide mich weiter zu gehen, denn ich fühle mich frisch und möchte noch immer keinen Trubel um mich herum haben.
7. Lektion: Geduld wird belohnt (keine meiner Stärken) – heute wurde es mein Weg
Es geht steil bergauf, bei 30 Grad Sonnenschein nach Sogn. Auch hier ist eine idyllische Pilgerherberge. Doch ich gehe weiter. Meine Beine und Gelenke sind nicht so strapaziert wie die Tage zuvor. Ich bin begeistert. Heute läufts, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin in meiner Kraft, ich würde sagen ich bin ich Flow. Das ist mein Durchbruch. Das ist mein Weg. Ich bleibe.
Einheimische winken und wünschen einen guten Weg. Einer kommt mit High Five auf mich zu. Respekt wird mir entgegengebracht, dass ich als Frau alleine den Weg gehe.
Ich komme an riesigen Bauernhöfen vorbei. Die Tiere stehen Kalb, Kuh und Ochse zusammen auf der Weide. Die Weide ist so groß, dass ich keinen Zaun mehr sehen kann. Ich muss an Julia aus meinem Workshop denken, die mit ihrem Freund einen Hof kaufen will und Bio Tiere halten möchte. Hier hätte sie Platz dafür.
Es gibt einen schönen Pilgerrastplatz, dort trinke ich kurz etwas, mache mir einen Stempel in den Pass und sehe eine Liste mit Unterkünften auf dem Weg. Diese nehme ich mir mit. Jetzt kann ich eventuell bessere Strecken planen.
So langsam werden die Beine schwer. Ich habe bereits 30 km hinter mir. Nach 36 km komme ich nach Granavollen.
Ich gehe an den schönen Schwesterkirchen vorbei. Daneben ist ein Pilgerhaus. Das Zimmer ist so klein, aber unendlich niedlich. Die Dusche im Flur ist groß und sehr schön und gepflegt.
Trotz vielfachem Auftragen der Sonnencreme habe ich leichten Sonnenbrand. Zudem bin ich komplett zerstochen an den Beinen und sogar Füße, durch die Schuhe durch. Ich lege die Beine hoch an die Wand, nachdem ich meine Wäsche gewaschen habe.
Ich genieße ein geniales Abendessen, Gemüse mit Spinatknödel und Tomatensauce. Sehr, sehr lecker. Ich esse draußen, denn es ist immer noch sommerlich warm. Nach dem Essen kommt das norwegische Ehepaar zu mir. Morten und Greta. Sie sind wahrscheinlich Ende 50 sprechen englisch und deutsch. Früher wurde hier deutsch in der Schule unterrichtet. Sie sind bereits den portugiesischen Jakobsweg und den französischen gegangen, sowie viele andere Pilgerwege. Sie hatten stets ca. 30 km pro Tag geschafft. Doch der Olavsweg wäre sehr hart. Die beiden laufen diverse Marathons, sagen, dass die Höhenmeter enorm sind, das Gelände schwierig und die Beschilderung schlecht. Sie schaffen kaum 2,5 – 3 km die Std.. So wie ich, ich bin beruhigt. Sie laufen immer früh los und sagen, sie spüren es nicht in den Beinen. Es wäre eine Kopfsache.
8. Lektion: Kopfsache?
Ich denke mal darüber nach, aber bei mir sind es aktuell noch die Beine…Sind schwere, müde Beine eine Kopfsache? Oder fühle ich mich einfach körperlich jeden Abend total erschöpft? Noch habe ich keine Antwort…
Die beiden wissen noch nicht, ob Sie morgen 19 km oder 35 km gehen. Dazwischen gibt es auch in Ihrem Guide keine Übernachtung. Ihr Zelt macht Ihnen keinen Spaß mehr.
Ich werde mich morgen entscheiden, je nachdem, wie es mir geht. Die beiden wollen den Weg in 3,5 Wochen schaffen, im Notfall hätten Sie 4 Wochen. Strenges Programm von den beiden. Respekt. Ich gehe mein eigenes Tempo. Ich merke ich bin heute in meiner Kraft.
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16.07.2021 5. Etappe: Von Granavollen über Tingelstad, Brandbu, Hogkorsplassen nach Dyste. Übernachten im Kloster Engen, uraltes Häuschen, 3 Zimmer, ein Bad eine Küche, sehr alt aber sauber.
Wetter: Sonnenschein 28 Grad.
Tagesetappe: 37 km
Heute wurde ich kurz nach 2 Uhr wach. Das waren gerade mal 4 Std. Schlaf. Trotzdem liege ich wach. Meine Beine sind müde. Gegen 4.30 Uhr schlafe ich bis 6.30 Uhr noch einmal ein. Obwohl mir nichts im Kopf herum geht und ich müde und erschöpft bin und sonst immer wie ein Stein schlafe, gelingt es mir auf diesem Weg nicht durchzuschlafen.
Ich stehe auf, gehe ins Bad, packe meinen Rucksack und bin um 7.00 Uhr beim Check Out und Frühstück. Obwohl ich es mitteilte, dass ich vegetarisch esse, bekam ich Fleisch und Wurst zum Frühstück. Sie waren jedoch so nett, dass ich es verzieh und die 2 kleinen Scheiben Käse, das gekochte Ei und etwas Marmelade aß.
Die Menschen hier sind sehr, sehr freundlich und auch wenn das Zimmer klein war und es Etagen Dusche und WC gab, war es eine superschöne Lokation (mit Wasser und Strom).
Laut Guide brauche ich ab heute essen für 2 Tage. Da ist eine gute Grundlage nicht schlecht.
Ich gehe zu den gegenüberliegenden Schwesterkirchen, es gibt keinen Stempel. Die beiden nebeneinander gebauten Gotteshäuser, von 1150 sind die berühmtesten in Norwegen. Sie sind die ältesten Zeitzeugen der Christianisierung in dieser Gegend. Die Legende erzählt, dass sie von zwei Schwestern erbaut wurden, die so zerstritten waren, dass sie nicht mehr in die gleiche Kirche gehen wollten. Auf dem angeschlossenen Friedhof steht noch ein hübscher, mittelalterlicher Glockenturm und neben meinem Hotelzimmer steht ein mittelalterliches Steinhaus. Viele Norweger kommen hier her, um sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen.
Das Pilgerbüro nebenan öffnet erst um 11 Uhr. Darauf warte ich nicht. Ich laufe um 7.45 Uhr los. Mein Plan für heute: Ich gehe die 5 km von der gestrigen Tour zu Ende und dann noch 15 km steil den Berg hinauf. Oben gibt es eine Pilgerherberge, die ich anrufe und dann einen Code erhalte, so der Plan und mein Guide.
Von Granavollen laufe ich den Pilgrimsleden bis zur mittelalterlichen Steinkirche, St. Petri, aus dem 12. Jahrhundert von Tingelstad. Die Kirche wird renoviert. Ich störe die Bauarbeiten bei meinem Rundgang ums Gebäude. Wie üblich ist sie geschlossen. Auch kein Stempel vorhanden. Ich laufe weiter zum Folklore Museum. Da ich noch ausgeruht bin, gehe ich hinein. Das ist gut gemacht auf einem Gelände sind viele alte Häuschen die im Original das ehemalige Leben der Region widerspiegeln. Es öffnet offiziell erst um 11 Uhr. Da die Dame jedoch den Pilgerstempel nicht findet, lässt sie mich gleich kostenlos rein. Sie bietet mir Wasser und WC an, brauche ich beides jedoch noch nicht. Aber sehr freundlich und hilfsbereit.
Ich finde die Kopie von dem 3m hohen, spektakulären, 1000 Jahre alten Dynnastein, ein Runenstein, der aktuell im Museum in Oslo ausgestellt wird. Er ist Norwegens frühester christlicher Zeitzeuge und bildet die Hl. Drei Könige bei der Anbetung ab.
Weiter geht es in das Dorf Brandbu. Dort gibt es tatsächlich einige Geschäfte. Da ich mich für 2 Tage mit Lebensmittel eindecken soll, gehe ich in eine Bäckerei. Die Auswahl ist gering. Ich nehme einen Marzipan-Croissant und packe ihn ein.
Gegenüber ist ein Intersport. Unglaublich heute früh musste ich meine Sportsocke entsorgen, weil sie sich so mit dem Blasenpflaster verbunden hatte, dass ein Anziehen nicht mehr möglich war. Bei meinen wenigen Kleidungsstücken behielt ich mal noch die rechte Socke… Frau weiß nie, wofür das noch gut sein könnte… Ich kaufe die besten Wandersocken aus Merinowolle und entsorge meine einzelne Socke.
Der Supermarkt ist eine Baustelle und hat kaum etwas zu bieten. Ich kaufe 2 Bananen. Draußen steht eine Marktfrau, von ihr kaufe ich 250g Himbeeren und 500g Kirschen. Beides kann ich nicht in den Rucksack packen, wäre anschließend Matsch. Gerade heute habe ich gefrühstückt, was solls, dann esse ich gleich weiter.
Hier treffe ich Morten und Greta von gestern Abend. Greta war in der Apotheke, weil sie so heftig auf die Moskitos reagiert. Zudem hat sie eine Nervenentzündung an der Hüfte. Vermutlich den Rucksack zu eng auf der Hüfte getragen. Sie weiß noch nicht, ob sie heute viel gehen werden.
Nachdem ich die Himbeeren vernascht habe, laufe ich weiter. Die Kirschen esse ich beim Gehen. Sehr lecker.
Es geht steil bergauf. Irgendwann mündet dieser steile Weg in den Wald. Der Weg ist von der Sonne beschienen, heute sind es 28 Grad! Ich teile mir mein Wasser gut ein. Heute kommt keine Kirche und somit kein Friedhof zum Auffüllen mehr.
Der Weg ist zwar steil, doch es riecht herrlich nach unberührtem Waldboden. Leider kein Wasser, welches fließt und zum Auffüllen der Flaschen taugen würde. Das liegt auch an dem heißen Sommer, der hier die Bäche austrocknet. Wenn es Wasser gibt, dann ist die Felswand zu steil zum Hinunterklettern.
Der Weg zieht sich ewig steil aufwärts. Ich weiß, dass ich auf keinen Fall mehr als diese 20 km gehen will. Diese Etappe ist zwar kürzer, aber heftig. Die Aussicht auf einen See ist weit und schön.
Gegen 14.45 Uhr komme ich bei der Pilgerherberge Hogkorsplassen, was im Winter als Skihütte verwendet wird, an. Schafe begrüßen mich. Es sind so friedliche Tiere.
Das Gelände ist verriegelt. Ich klettere mit meinem Rucksack über den Zaun und wähle die Nummer um den Türcode zu erhalten. Niemand meldet sich. Ich hinterlasse eine Nachricht. Zudem sende ich eine SMS.
15 min später erhalte ich die Antwort, dass sie diese Saison nicht geöffnet haben.
Okay, das bedeutet Planänderung trotz müder Glieder.
Die nächste Etappe sind erneut 15 km. Dazwischen gibt es keine Unterkünfte.
Dann keine weitere Pause, sondern gleich weiterlaufen, denn d.h. straffes Programm.
Oben auf dem Gipfel stehen 3 Kreuze mit historischer Bedeutung. Sie weisen auf dem damaligen Pilgerweg von Hl. König Olav hin…
Die Aussicht ist wunderschön auf den Einafjord. Es geht viele km bergab.
9. Lektion: Das Glück im Leben
Täglich sehe ich unzählige Marienkäfer, Glückskäfer am Wegesrand. Ich mache mir Gedanken darüber, wie viel Glück ich auf meinem bisherigen Lebensweg bereits hatte:
Meinen gesunden Körper, der mich so eine Tour machen lässt…
Meine Eltern, auf die immer Verlass ist.
Meine Geschwister, die maßgeblich an meinem Werden beteiligt waren.
Meine wunderbaren Töchter, die zu so besonderen jungen Frauen herangewachsen sind, dass mir das Herz vor Freude überläuft…
Marc und Jan, die schon immer so unkompliziert durchs Leben gegangen sind…
Meine Freundinnen C.W., R.W., A.W.-S., I.F., A.W., die ich alle sehr ins Herz geschlossen habe und wir uns aufeinander verlassen können…
Mein erstklassiges Mitarbeiter-Team, welches mitdenkt und unterstützt…
Meine Kunden, die ich mir auswählen kann, die mir Freude bei der Arbeit bescheren und sinnvolle Projekte ermöglichen.
Das alles erfüllt mich mit Demut, Freude und Dankbarkeit…
Ebenso viele Schmetterlinge tanzen mit mir auf diesem Weg. Ihre Zartheit und Leichtigkeit klingt in mir an. Vielleicht denke ich darüber morgen nach…
Zurück zu meinem Weg. Ich komme an der extrem befahrenen E4 an. Laut Beschilderung soll ich diese eindeutig überqueren. In Deutschland käme im Radio sofort die Nachricht „Achtung Menschen auf der Fahrbahn“.
Hier ist es so gewollt. Ich muss jedoch lange warten, bis ich zwischen dem dichten Verkehr über die Leitplanken und über die Straße komme.
Ich gehe ein Stück am Einafjord entlang und denke an Laura, die Tochter meiner Freundin, weil ihr damaliges Kuscheltier Eina hieß.
Irgendwann komme ich an eine kleine, schmale Treppe, die runter ans Wasser führt. Ich lege den Rucksack ins Gras, ziehe die Schuhe aus und Strecke die Füße in den Fjord. Herrlich, so hatte ich mir das hier vorgestellt.
Mein Wasser ist fast leer, leider ist Fjord Wasser in der Regel Salzwasser, hilft leider nicht weiter.
Anschließend laufe ich wieder steil den Berg hinauf, ab und zu kommt ein größerer Hof in Sicht. Manchmal winkt mir ein Bauer auf dem Traktor.
Der Weg führt durch eine sehr schöne Wald-Moor-Landschaft.
Ich brauche dringend Wasser. Endlich.
Zum 1. Mal nehme ich Trinkwasser aus einem kleinen Bachlauf. Es schmeckt und ich vertrage es unproblematisch.
Leider extrem schwer im Moor vorwärts zu kommen. Ich springe wie die letzten Tage oft von Stein zu Stein, um nicht bei jedem Schritt zu versinken.
Meine Schuhe sind, entgegen der Aussage der Verkäuferin, nicht wasserfest. Oftmals gibt es keinen echten Grund und ich sinke tief ein. Meine Beine sind bis zu den Knien schlammverkrustet. Zudem kostet jeder Schritt ziemlich viel Kraft.
Ich rufe bei den beiden nächsten Unterkünften an. Sie haben geschlossen. Ich rufe im Kloster Engen an. Ja, da darf ich kommen. Natürlich der weiteste Weg von allen.
Mein Handy-Akku ist wieder leer, ich kann nicht mehr navigieren. Ich bin erschöpft und frage immer wieder nach dem Weg. Ich laufe an 2 Wohnhäusern vorbei, keine Beschriftung bezüglich Kloster oder Pilgerherberge.
Ich laufe 800 m weiter, frage erneut, werde zurückgeschickt. Wieder 1600 m umsonst. Jeder Schritt kostet Überwindung. Jeder Schritt braucht einen bewussten Befehl ins Gehirn „LAUF“. Als ich vor dem einen Wohnhaus stehe, ist an der Tür ein kleines Schild mit Diakonie. Okay, ein Kloster inkognito. Es ist inzwischen nach 20 Uhr, ich betätige die Klingel. Eine alte Nonne öffnet nach geraumer Zeit. In der Ruhe liegt die Kraft…
Sie will vieles wissen, ich antworte brav, erkläre, dass ich müde bin und duschen möchte.
Sie begleitet mich ins Nachbargebäude. Unglaublich, es könnte ein Museum sein so alt ist alles hier. Egal ich bekomme im 3. Stock (wie komme ich mit meinen müden Gliedern und dem Rucksack noch die schmale, steile Treppe hoch?) ein Zimmer zugewiesen. Ich bin alleine. Juhu. Brauche meinen Schlafsack. Kein Problem. Es gibt eine Toilette und eine uralte Badewanne. Die Dusche funktioniert nicht. Egal, ab in die Badewanne, das Wasser ist kalt bis lauwarm und läuft nur in einem sehr dünnen Rinnsal.
Ich wasche einiges an Wäsche. Meine Socken muss ich mehrfach waschen, weil das Wasser ewig dunkelbraun bleibt vom Moor. Mein Badewasser sieht ähnlich aus.
Egal, waschen tut einfach gut. Und wenn man so körperlich erschöpft ist, dann hat es etwas Meditatives.
Ich muss nochmal rüber zur Schwester, sie nahm meinen Pilgerpass für den Stempel mit. Zudem muss ich mich ins Gästebuch eintragen. Habe ich artig gemacht. Die Übernachtung ist kostenlos. Ich bin erstaunt. Sie haben jedoch den Wunsch, dass ich aus dem Dom von Trondheim eine Postkarte an sie schicke. Das mache ich gern. So habe ich 2 Übernachtungen gespart durch die 2,5 Etappen, die ich heute gegangen bin.
Zum Essen bin ich zu müde. Leider muss ich hier das Leitungswasser abkochen, weil irgendetwas seit wenigen Tagen in der Region mit der Wasserqualität nicht stimmt. Ein Wasserkocher steht bereit und ich mache mich ans Werk, denn ich bin sehr durstig und trinke heißes Wasser über den Abend.
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17.07.2021 6. Etappe: Von Dyste nach Kapp zur historischen Pilgerfähre und weiter mit dem Bus nach Gjovik ins Quality Hotel Strand
Wetter: Sonnenschein 28 Grad
Tageskilometer: 26 km
Gefühlt habe ich gar nicht geschlafen. Ich kann nicht verstehen, warum. Ich liege wach, spüre meine müden Glieder, denke an den Weg von heute, bin entspannt, der Geist ist frei, doch schlafen geht nicht.
Um 6.00 stehe ich mit bleischweren Beinen auf und weiß, dass ich heute wieder einen langen Weg vor mir habe.
Ich falte meinen Berg gewaschene Wäsche, koche erneut Wasser ab, creme meine Kniekehlen, die seit 2 Tagen von den vielen Stichen extrem rot und geschwollen sind, ein und prüfe erneute Routenoptionen für den heutigen Tag und die Fähre morgen…
Richtig Hunger hatte ich bisher nie. Ich habe etwas gegessen, wenn es sinnvoll war, wie z. B. wenn ein Abendessen möglich war oder Frühstück. Dass ich während dem Laufen je Hunger hatte, war nicht der Fall. Wahrscheinlich ist der Körper im Notfall-Modus? Keine Ahnung. Ich habe eine meiner Bananen gegessen, die ich gestern gekauft hatte. Das reicht mir.
Heute habe ich auch mal wieder an die Einmal-Dosis Magnesium gedacht und eingenommen. So gehe ich um 8 Uhr los auf die Tages Etappe.
Wie üblich ist es schwierig den Einstieg in den Olavsweg zu finden. Der beschriebene Supermarkt ist ein Kiosk und öffnet erst um 9.00 Uhr. Also laufe ich weiter. Heute geht es sehr viel über Felder und Wiesen.
Die Felder sind riesig. Das sieht toll aus. Keine Strommasten dazwischen, sondern riesige Felder, leichte Hügel und ab und zu ein paar Bäume, die das Bild auflockern. Es wachsen die gleichen Pflanzen wie bei uns am Wegesrand und auf den Felder wird auch wie bei uns Getreide, Kartoffeln und Gemüse angebaut.
Trotzdem muss Norwegen das meiste Obst und Gemüse importieren, weil sie nur eine sehr kurze Jahreszeit des Anpflanzens haben, weil es so kalt ist.
10. Lektion: Ähnliche Landschaften
Am ersten Tag war ich etwas enttäuscht, weil die Landschaft in Norwegen unserer so ähnlich ist. Dann erinnere ich mich daran, dass ich es jeden Morgen genieße durch unsere Felder zu joggen und ich noch immer über die Schönheit jeder einzelnen Wildblume staunen kann.
Warum sollte die Landschaft hier anders sein. Mir war doch wichtig in der unberührten Natur zu sein den Großteil des Tages und genau das bin ich. Mit dieser Erkenntnis freue ich mich, dass ich viele der Wald- und Wiesenblumen kenne. Ich teile sie sogar in Korb-, Dolden-, Schmetterlings-, Lippenblütler ein sowie Nelken-, Hahnenfuß- und Rosengewächse…
Was bin ich verwöhnt, dass es ständig Neues oder etwas Besonderes braucht, anstatt im alltäglichen das Schöne zu erkennen.
Es sind wieder so viele Marienkäfer unterwegs. Ich mache ein paar Fotos… Ein Kleiner mit 2 Punkten setzt sich auf mein Knie. Ein Glückstag wird das heute.
Beim Gehen bin ich sehr achtsam, dass ich kein Tier – nicht mal eine Ameise bewusst zertrete. Und doch ist es heute passiert. Versehentlich bin ich auf einen Marienkäfer getreten. Sofort überlege ich, wo ich das Glück mit Füßen getreten habe. Mir fällt nichts ein. Sicher ist, dass mir im Alltag das tägliche, viele Glück was ich habe nur noch selten auffällt. Vieles ist so selbstverständlich…
…in einem so entwickelten Land wie Deutschland geboren zu sein
…diese Schul- und Studiummöglichkeiten zur Verfügung zu haben
…aus einer großen Bandbreite von Berufsmöglichkeiten wählen zu dürfen
…Religionsfreiheit
…große Meinungsfreiheit, im Vergleich zu vielen anderen Ländern
…unendliche Entwicklungsmöglichkeiten
…großartiges Gesundheitssystem
…vielfältige Lebensmittel
…freie Wahl der Ernährungsgewohnheiten
…freie Wahl der Lebensgemeinschaften
…größtmögliche Gleichberechtigung für Frauen uvm.
Ich höre schon viele Freunde und Bekannte aufschreien und mir erklären, dass wir hier noch viel Entwicklung vor uns haben. Natürlich kommen auch mir Ideen in den Kopf, wie auch Deutschland in vielerlei Hinsicht besser werden kann, doch wir sollten nicht vergessen, wir starten bereits auf einem hohen Niveau.
An der, in Kreuzform, 1730 gebauten ehemaligen (Stabkirche) Kolbu Kirche mache ich Rast und esse meine zweite Banane und 50 g Nüsse. Der hölzerne Vorgängerbau stammt aus dem 16. Jahrhundert, Evangsgutua. Das gibt den Hinweis, dass es schon im Mittelalter ein Rastplatz für Pilger war. Angrenzende Ausgrabungsfunde wurden auf 1200 v. Chr. datiert. Der weitere Weg heißt an der alten Hajen Bura aus dem Jahr 1861.
Neues kirchliches Ritual:
Weiter geht der Weg am Ort Lena vorbei bis zur Hoff Kirke. Die Kirche liegt landschaftlich sehr schön. Das Pilgerzentrum ist wegen Corona geschlossen. Die erste Kirche die auf dem Weg offen ist. Ich muss meine Handy Nummer hinterlassen und darf eintreten.
Bereits vor 1200 erbaut als Basilika ähnlich der Domkirche, die mich morgen in Hamar erwartet.
Eine Norwegerin verwickelt mich in ein Gespräch und erklärt mir, warum die Kirche offen ist: Es wird in Norwegen, in dieser Kirche, heute, in einer Stunde, eine neue kirchliche Zeremonie stattfinden. Dafür sind einige Fernsehsender angereist. Ein Mann, der sich in eine Frau hat umwandeln lassen wird rituell in dem neuen Körper, dem neuen Geschlecht und dem neuen Namen kirchlich geweiht. Der Pfarrer hat die Zeremonie mit der naheliegenden Transgender-Gemeinde entwickelt und viele wollen diese Premiere verfolgen.
Meine Gesprächspartnerin ist eine gute Freundin der Person. Sie selbst war 26 Jahre mit einem Mann verheiratet, der sich dann als Frau hat umwandeln lassen…
Ich höre schon den Aufschrei meiner streng katholischen Mutter, wenn sie davon erfährt.
Ich finde das eine gute Idee, denn Rituale haben eine besondere Kraft und können die teilweise geschundenen Seelen, die diesen Schritt nicht leichtfertig gegangen sind eventuell heilen…
Leider darf man auch hier kein Leitungswasser trinken und kann nichts kaufen. So gehe ich durstig weiter. Auch heute haben wir 27 Grad. Ich laufe selten im Schatten und Bäche gibt es nur in ausgetrockneter Form. Egal, weiter geht’s.
Nach wenigen Kilometern kann ich in der Ferne den riesigen Mjosasee sehen. Sehr schön, darin will ich baden.
Der Weg zieht sich bis ich endlich an der eher modernen Kirche in Kapp vorbei komme.
Ich gebe die Adresse meiner Unterkunft mit Wikingerschiff ins Navi ein und laufe zielstrebig dahin. Es sieht verlassen aus. Ich rufe an. Er hat sich das Wochenende frei genommen, weil keine Pilger angemeldet waren und ist weggefahren.
Das kommt von meiner Spontanität. So muss ich akzeptieren, dass auch andere spontan sind und somit nicht da.
Er erlaubt mir im wirklich wunderschönen Garten im Schlafsack zu übernachten. Ich stelle meinen Rucksack ab und springe in den sehr kalten See. Das tut gut. Ich lege mich 1 Stunde in den Garten zum Trocknen. Allerdings werde ich so extrem zerstochen, dass mir klar wird, dass die Idee hier im Schlafsack zu übernachten nicht optimal ist. Ich packe zusammen. Ich finde dort sogar 2 Flaschen stilles Wasser die ich direkt trinke und das Geld dafür hinlege.
Dann breche ich auf zu Plan B.
Hier von Kapp geht erst am kommenden Mittwoch wieder das Pilgerschiff ab. Heute ist Samstag, ich werde nicht so lange warten. In Gjovik, in 35 km Entfernung legt morgen die Fähre an. Heute laufe ich das nicht mehr. Zudem gehört die Strecke nicht zum Pilgerweg. Also probiere ich das Busfahren in Norwegen aus. Ich lade mir die entsprechende App herunter. Ich finde die richtige Bushaltestelle und warte in der Sonne und esse aus dem kleinen Supermarkt ein sehr leckeres, veganes, glutenfreies Nusseis.
Der Busfahrer erfreut sich meiner falschen Aussprache des gewünschten Ortes und gibt mir fröhlich Sprachunterricht. Das finde ich richtig gut.
In Gjovik („Jowig“) gibt es 2 Hotels. Ich rufe das erste an. Es ist zum Quarantänehotel umgewandelt worden und darf gesunde Menschen nicht annehmen. Das andere Hotel probiere ich mehrfach bis ich durchkomme. Ja, es gibt ein Zimmer. Juhu. Ich komme. Vom Bahnhof nur 800 m und nur 5 Minuten morgen früh zum Skibladen, dem Pilgerschiff. Das hat dann doch noch geklappt.
Ich bekomme ein einfaches Zimmer für 125,00 Euro. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in Deutschland so ein Zimmer noch vermietet würde. Egal, ich habe Wasser, Strom und eine Toilette. Die Preise sind schon enorm hier. Das Restaurant ist ausgebucht. Kein Problem, erstmal in die Dusche, heute wieder Haare föhnen, über solche Kleinigkeiten kann ich mich inzwischen richtig, richtig freuen. Dann Wäsche waschen und Beine hochlegen, um 19 Uhr aufbrechen um die Innenstadt zu erkunden. Ich merke, dass ich heute noch richtig gut zu Fuß bin. Zudem freue ich mich jeden Abend, dass ich meine Barfuß Schuhe dabeihabe. Die sind eine Wohltat am Abend.
Die komplette Innenstadt ist Großbaustelle. Alles ist ausgegraben und gesperrt. Auf schmalen Wegen erkunde ich die Umgebung. Viele Beton-Blockbauten aus den 60er Jahren. Alles andere als schön. Obwohl ein breiter Fluss durch die Stadt fließt, kann ich keine schönen Ecken finden.
Auf der Restaurantmeile stehen die Norweger Schlange. Das will ich nicht. Google Maps zeigt mir in der Nebenstraße einen Inder an. Der ist gut besucht, das spricht für eine gute Küche. Ich gehe hinein. Ich werde sehr freundlich bedient und das Essen schmeckt prima.
Wie jeden Abend versuche ich den kommenden Tag zu planen, die Strecke zu erkunden und eine Idee zur Navigation zu bekommen.
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18.07.2021 7. Etappe: Gjovik mit dem Skibladen (Pilgerschiff) nach Hamar und weiter nach Brumunddal bis zur Kirche Veldre
Wetter: Durchwachsen: Sonnenschein, bewölkt, kurzer, leichter Nieselregen, wieder Sonnenschein, Wind…
Tageskilometer: 36 km leichtes Auf und Ab am Seeufer entlang.
Um 22 Uhr bin ich eingeschlafen, um 4 Uhr kurz wach geworden, aber bis kurz vor 6 Uhr erneut geschlafen. Juhu! Ich fühle mich fit und erholt. Scheinbar sind 26 km eine gute Zahl für mich und meinen Körper. Wenn es nur immer eine Übernachtungsmöglichkeit in diesem Radius gäbe…
Um 8 Uhr habe ich mich für das Frühstück angemeldet. Ein unglaublich vielseitiges Buffet wartet auf mich und ich trinke einen Smoothie, eine Tasse Tee, esse Vollkornbrot mit Käse und Butter, probiere einheimische Nutella aus der Tube, die sehr lecker ist und nehme mir etwas frisches Obst mit Haferflocken und Nüssen. Hier berücksichtigen die Hotels alle glutenfrei sowie Allergien aller Art und bieten regional und Bio an. Das Essen reicht bis heute Abend. Ich habe gelernt auf Vorrat zu essen, wenn es etwas gibt.
Um 8.30 Uhr laufe ich zum Pilgerschiff. Er, ein smarter Matrose erklärt mir, dass ich warten muss bis die Crew komplett ist. Endlich sind alle da und ich bitte darum nach Hamar fahren zu dürfen, weil meine Reservierung (wegen der ausländischen Telefonnummer) nicht geklappt hat. Ich werde als einzige Person ohne Reservierung mitgenommen. Glück gehabt. Durch Corona dürfen sie nur die Hälfte der Passagiere befördern.
Ich setzte mich an Deck. Der Maschinist kommt auf mich zu und erklärt mir den Maschinenraum und die Brücke.
Das offizielle Pilgerschiff bringt über den Mjosasee (369 km2, wie der Gardasee, kleiner als der Bodensee mit 535 km2) bis heute Pilger ans andere Ufer. Seit jeher gehört eine Fahrt über das Wasser zum Pilgerweg nach Nidaros (Trondheim). Es ist der älteste, seit 1856 im Linienverkehr stehende Raddampfer der Welt!!!
Der Name Skibladner verweist in der nordischen Mythologie auf das Götterschiff Skidbladner, das immer günstigen Wind hatte und sich im Bedarfsfall auch zusammenfalten ließ.
In Hamar steige ich aus und laufe auf dem Olavsweg an der Strandpromenade weiter. Vorbei am Glockenspiel, welches zu Ehren der olympischen Spiele in Lillehammer jede Stunde läutet. Da es gerade 11 Uhr ist, erklingt die total niedliche Melodie. So schön. Sie erinnert mich an ’small world‘ im Euro Disneyland.
Am Strandpark geht es vorbei an diversen Kunstwerken. Das können sie wirklich gut die Norweger. Ich habe noch nie so viele schöne Brunnen, Skulpturen, Denkmäler, Kunstwerke gesehen, die tatsächlich auch etwas ausdrücken, was ich erkennen kann.
Ich komme zum Pilgrimscenter. Er hat offen. Ich gehe rein. Ich frage nach Übernachtungsmöglichkeiten. Es gibt nur 2 bis Lillehammer. Für heute rufe ich direkt an. Ich bin die Letzte die angenommen wird. 3 Männer und 1 weitere Frau sind dort heute Nacht.
Die frühe Domkirche (Domkirkeodden = Domkirchen-Reste) ist jetzt mit einem Glasdach versehen. Eine echt coole Sache. Zudem befindet sich gerade eine Kunstaustellung darin. Gefällt mir gut.
Hamar ist toll, mit dem Strand, der ewig langen Promenade, den Kunstwerken, den historischen Bauten, Grünflächen, am Wasser gelegen. Ich entscheide ins Sommermuseum zu gehen.
Auch das ist toll gemacht. Das Alte wurde extrem gut mit modernen Materialien kombiniert. Ich verweile mich ziemlich lange, weil auch hier so viele, alte norwegische Häuser aus den unterschiedlichsten Epochen zu bestaunen sind. Zudem gibt es einen Kräutergarten der als Labyrinth angelegt ist und daran schließt sich ein Mittelalter Markt an. Dieses Treiben finde ich schon immer genial. Ich schaue den Kämpfern zu, den Marktfrauen, den Gauklern und Musikern und genieße, dass ich hier bin und all das erleben darf.
Als ich mich endlich auf den Weg mache kaufe ich mir noch ein Eis und stelle mich auf 20 km ein.
Etwas Geschichte:
Hier in Hamarkaupangen ist seit Beginn der Christianisierung ein wichtiges Zentrum. Es befanden sich die Kathedrale, die Burg des Bischofs, das St. Olavskloster, ein Kräutergarten, ein Krankenhaus und eine Schule. Durch seine Lage am See zwischen Oslo und Nidaros (Trondheim) war Hamar nicht nur ein beliebter Übernachtungsplatz für Pilger, sondern entwickelte sich zum Machtzentrum. Im 16. Jahrhundert ging diese Stadt zugrunde, nachdem große Teile der Burg und des Doms von Schweden zerstört wurde.
Zwei verheiratete Frauen, Eli und Brit, sprechen mich an. Sie leben in Granavollen, wo ich vor kurzem so schön übernachtet hatte. Sie gehen jeden Herbst 8 bis 10 Wochen ein Land per Fuß erkunden. Sind schon 6 Caminos gewandert und 4x in Deutschland. Sie wollen im Herbst wieder nach Deutschland. Von Bremen nach Trier laufen und dann in die Pfalz. Die beiden haben immer nur 4,5 kg Gepäck ohne Essen dabei. Sofort überlege ich wie ich mein Rucksackgewicht dahingehend reduzieren könnte. Mir fällt jedoch nichts ein, was ich nicht brauchen würde.
Sie haben von den Unwettern gehört und fragen nach der aktuellen Situation in Deutschland. Ich gebe ihnen meine Adresse und lade sie zu mir zum Übernachten ein. Sie freuen sich sehr.
So, nun ist es nach 14 Uhr, jetzt muss ich aber mal loslaufen, sonst wird das nichts mehr heute.
Ich bin eine frühe Läuferin, das weiß ich sowieso schon. Je später am Tag, desto schwerer laufe ich. So ist es auch heute. Der Weg ist sehr schön am See entlang, trotzdem zieht er sich wie Kaugummi.
11. Lektion: Leichtes Gepäck
Schon seit meiner Indienreise sortiere ich im Haus regelmäßig aus. Ich will nur mit leichtem Gepäck leben. Ich dachte, dass ich hier mit leichtem Gepäck unterwegs wäre. Ich überlege, wie ich mein Gepäck auf 4,5 Kilo reduzieren könnte…
Vorsatz: Ab heute werde ich täglich etwas aus meinem Rucksack aussortieren.
Ich weiß, dass ich heute Nacht Strom habe. So höre ich Musik. Erst meine Playlist von Reinhard May. Er besingt so schön alltägliche Situationen… Ich singe mit. Es hört mich ja niemand. Singen gehört nicht zu meinen Stärken würde jetzt meine Familie sagen
Ich komme in Brumunddal an. Das Städtchen ist sehr hübsch, wieder viele Skulpturen, viele Blumen und der Fluss Brumunda fließt mitten durch. Es gibt kleine, geschlossene Geschäfte und eine Pizzeria. Ich bestelle die kleine vegetarische Variante und bin erstaunt wie viel dort los ist. Die Pizza ist lecker. Ich schaffe nur die Hälfte und bekomme den Rest eingepackt. Den esse ich dann morgen zum Frühstück?
Auf dem weiteren Weg höre ich Best of STS und erinnere mich an meine schöne Zeit, vor 30 Jahren, als ich in München lebte.
Das Musikhören stresst mein Akku, irgendwann kann ich leider keine Fotos mehr machen und Navigation geht auch nicht mehr. Mist 2 km vorm Ziel. Ich hole mein neues Ladegerät heraus, welches auch die Hände wärmt und stelle fest, dass ich nur das Ladekabel dabei habe und kein Verbindungskabel zum Handy. Wie clever von mir. Das kann ich aussortieren, allerdings reduziert es das Gewicht nicht wesentlich.
Ich frage zwei Reiterinnen, sie deuten vage in eine Richtung. Ich „Orientierungsgenie“ finde den Weg tatsächlich ohne Probleme.
Drei deutsche Männer zwischen 50 und 53 Jahren aus Kiel sind über den Ostweg gekommen und eine Holländerin, Martina, ebenfalls. Wir unterhalten uns und dann gehe ich in den Schlafsaal, indem ich mit den Männern schlafen werde. Martina schläft im Flur unter der Treppe. Es gibt Duschen und Toiletten, alles sehr, sehr rudimentär, aber ich freue mich über Wasser und Strom! Ich lade das Handy, gehe duschen und Wäsche waschen und sortiere aus: Notizheft, einen der beiden Kugelschreiber, Ladegerät ohne Kabel.
Ich lade mein Handy auf, mache meinen Tagebucheintrag und höre den anderen zu. Sie laufen maximal 20 km pro Tag. Sie haben jede Tagesetappe bereits vorher exakt geplant, die Übernachtungen gebucht und alle Eventualitäten im Vorfeld gecheckt.
Martina nutzt den Gepäckservice und läuft somit ganz leichtfüßig. Außerdem bucht sie die Übernachtungen alle 1 Woche im Voraus und lässt sich abholen und wieder auf den Weg bringen.
12. Lektion: Es gibt viele Möglichkeiten zu pilgern
Den leichten Weg, ohne Gepäck. Dann würde ich das Pilgern nicht ernst nehmen, nichts für mich.
Den geplanten Weg mit klarer Struktur, Reservierungen und extremer Vorbereitung. Zu wenig flexibel, nichts für mich.
Den Weg in kleinen Etappen mit Hol- und Bring-Service. Trödeln nervt mich, Service macht abhängig, nichts für mich. Ich bin zufrieden mit meiner Wahl, spontan und frei jeden Tag zu gestalten und zu schauen was er bringt.